Verödete Innenstädte, arbeitslose Verkäuferinnen,
aussterbende Geschäfte: Daran ist weder Angela Merkel schuld, noch „die
Ausländer“, noch die SPD. Sondern Menschen wie Sie und ich, die gerne online
shoppen.
Ich kenne Julia vor
allem von den alljährlichen Faschingssitzungen der KGS – dem lustigsten Anlass,
in mein Heimatdorf Schöllkrippen zu fahren. Manchmal sehe ich sie auch in der
Lesekatze, dem Buchladen in meinem
Heimatdorf. Dort kann man stöbern, sich von Julia und ihren Kolleginnen beraten
lassen und schöne Bücher kaufen. Oder man bestellt im Online-Shop der Lesekatze
und holt die Bücher in der Filiale ab. Oder man lässt sich die Bücher nach
Hause liefern. Fast so wie bei Amazon. Nur in sympathisch*.
Anders als Amazon
organisieren die Damen von der Lesekatze auch kulturelle Veranstaltungen. Real-World
und Face-to-Face und so. Von StandUp Lesung über Literaturwanderung bis FrauenLeseNacht.
Es sind Veranstaltungen wie diese, die das Leben auf dem Land lebenswert machen.
Wenn es schon kein Kino und keine Konzerthalle gibt, dann wenigstens einen irischen
Krimiabend.
Schwimmbad und
Sportplatz gibt es in meinem Heimatdorf auch – aber nur, weil es Unternehmen
gibt, die Steuern zahlen. Und zwar dort, wo sie Umsatz machen. Amazon gehört da
leider nicht dazu.
Viele Menschen
kaufen Ihre Bücher und sonstigen Kram trotzdem lieber bei Amazon. Weil es so
schön bequem ist. Und weil sie scheinbar viel Geld sparen (was bei Büchern ja
überhaupt nicht zutrifft, Stichwort Buchpreisbindung). Und weil sie scheinbar
Zeit sparen (wie oft sind Sie schon am Postschalter in der Schlange gestanden,
um ein online bestelltes Päckchen abzuholen?). Und weil ihnen Datenschutz
völlig schnuppe ist (haben Sie schonmal bei „Liste finden“ auf Amazon die
Mailadressen von Freunden und Verwandten eingegeben?)**.
Wenn man seine
Bücher und Klamotten und Damenbinden und Olivenöl und Funklautsprecher bei
Amazon kauft, dann hat man zwar teilweise einen persönlichen Nutzen. Aber man trägt
aktiv zur Verödung der Innenstädte bei. Und zu den nervigen Lieferfahrzeugen,
die ständig die Fahrradspur vollparken. Man sorgt dafür, dass kleine
Innenstadtgeschäfte durch gesichtslose Lagerhallen auf der grünen Wiese ersetzt
werden. Und dafür, dass Verkäuferinnen und Schauwerbegestalter ihren Job verlieren. Dafür, dass Bücher und andere Produkte nur noch gerankt
und vermessen und ausgewertet werden – und nicht mehr geliebt und geschätzt.
Kurzum: Dafür, dass unser Sozialleben immer häufiger mit einem A beginnt.
Die Konsumenten
haben die Macht. Sie entscheiden, ob sich ein Einkaufszentrum rentiert und ob der
kleine Laden um die Ecke überlebt. Ob wir unser Leben im Cyberspace verbringen
wollen oder in einem attraktiven öffentlichen Raum. In Amerika mit seinen
pervertierten großflächigen Einzelhandelsstrukturen betreibt Amazon
mittlerweile sogar automatische Supermärkte, bei denen die Lebensmittel, die
man in den Einkaufskorb legt, automatisch abgerechnet werden. Und alle
Kassiererinnen arbeitslos sind. Andere finden das genial, ich finde das
asozial. Wenn es in unserem Leben nur um eine algorithmisierte Rationalität
ginge, dann könnten wir uns gleich durch Roboter substituieren lassen.
Bevor ich mich zu
sehr zum Moralapostel aufschwinge: Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile selbst
auch wieder einen Amazon-Account habe. „Audible“ ist einfach ein tolles Angebot
für Hörbuch-Freunde, das noch niemand anders offeriert. 150.000 Hörbucher im
Angebot, eines pro Monat im Abo: Einzigartig. Aber so wie dem „Kindle“ der
sympathischere „Tolino“ gefolgt ist, wird „Audible“ vielleicht auch bald die „HörBar“
folgen, in der man 150.000 Hörbücher
bestellen und mit einem Teil seiner Abogebühr einen Buchhändler seiner Wahl
unterstützen kann
Das wäre eigentlich
eine tolle Geschäftsidee.
Aber soll bitte
jemand anders gründen. Ich verbringe meine Freizeit lieber damit, Bücher zu
lesen.
Bücher, die ich irgendwo
gekauft habe.
Hauptsache nicht
bei Amazon.
P. S.: Martin
Schulz, ein gelernter Buchhändler, könnte der nächste deutsche Bundeskanzler
werden. Können Sie sich einen gelernten Amazon-Algorithmen-Optimierer, der nur
Zahlen und keine sozialen Kontakte kennt, als Kanzlerkandidat vorstellen?
*
Selbstverständlich gibt es noch viele andere sympathische Amazon-Alternativen,
z. B. die Osiandersche Buchhandlung, die Bücher klimaneutral per Lastenfahrrad
ausliefert.
**Ok, ich gebe
zu, das mit dem Datenschutz ist kein Argument. Den gibt es in der
Dorf-Buchhandlung auch nicht. Wie schreibt Juli Zeh in Unterleuten so treffend: „Man musste nur ein handelsübliches Dorf
besuchen, um zu verstehen, was der gläserne Mensch tatsächlich war.“
Unterleuten ist übrigens ein großartiges Buch – das man natürlich auch bei derLesekatzebestellen kann.
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