Ein normaler Dienstag, Anfang April
04:55: Der Wecker läutet. Noch nicht mal 5 Uhr und es ist
definitiv keine Uhrzeit um aufzustehen. Draußen ist es stockfinster, ziemlich
kühl und auf den Bergen liegen noch Schnee und Eis. Im Bett hingegen ist es
kuschelig warm und ich habe noch reichlich Zeit zum Schlafen.
„Warum nur?“ frage ich mich selbst. Niemand zwingt mich
dazu, in die Kälte hinauszutreten, loszulaufen und 1000 Höhenmeter
aufzusteigen. Niemand bezahlt mich dafür, niemand wird mir zujubeln und dort
oben gibt es sich auch keine feschen Mädels die mir einen Blumenkranz umhängen. Was genau sind die Gründe, die mich für diesen Sport, den besten der Welt, motivieren?
5:10: In einem Anflug innerer Härte zu mir selbst strecke
ich meine Füße aus dem Bett und lasse den Rest des Körpers folgen. Ein
schnelles Frühstück (Wasser und Banane) und der Lauf geht los.
5:30: Der Weg wird steiler und windet sich langsam nach
Kohlern, ein kleiner Weiler auf 1100m Meereshöhe, ca. 900 Meter über Bozen. Als
ich den Aufstieg beginne, habe ich auch schon Grund Nummer 1:
1) Es bringt dich an deine Grenzen und darüber hinaus
Es gibt eigentlich keine Grenzen für physische
Anstrengungen. Körperliche Leistung wird in erster Linie durch den Kopf
begrenzt. Du glaubst, 10km sind die längste Distanz die du laufen kannst?
Solange du nicht versuchst weiter zu laufen, wird es wohl dabei bleiben. Trailrunning
heißt, die Komfortzone zu verlassen. Lange Anstiege sorgen dafür, dass man es
auf die harte Tour versteht: Wenn man wirklich auf den Berg will, kommt man
auch hinauf. Wenn der Berg nicht zum Läufer will, dann muss der Läufer eben
hochlaufen. Er mag seinen Anstieg langsam meistern, vielleicht nicht laufend sondern
gehend, notfalls auf allen 4en. Geschwindigkeit ist nicht wirklich relevant in
diesem Sport – es zählt das Ankommen.
5:40: Ich verlasse die Promenaden um Bozen und kreuze mich mit einer alten Dame, eine Taschenlampe in ihrer Linken, die Hundeleine in der Rechten. Ich versuche, sie mit meiner Stirnlampe nicht zu blenden und kriege mit, wie sie mich fragend ansieht.
2) Die Leute denken, du spinnst
Als ich zum ersten Mal in meinem Leben Trailrunner
gesehen habe, dachte ich, irgendwas stimmt mit diesen Menschen nicht. Laufen am
Berg, stundenlang, auf und ab – verrückt! Jetzt stelle ich diesen mitleidigen
Blick öfters bei Wanderern fest, denen ich begegne, während ich mich Berge
hochquäle oder nach unten sprinte. Meine Oma meinte kürzlich ich sei „komplett
norrat“ und sie zündet in der Kirche eine Kerze an, damit ich keinen
Herzinfarkt erleide. Wie auch immer – zu wissen, man wird für verrückt gehalten
fühlt sich super an :)
5:50: Was war das Geräusch? Welche Augen reflektieren da
meine Stirnlampe aus dem Gebüsch? Laufen im Dunkeln hat etwas Gespenstisches.
Das bringt uns zu Grund Nummer 3:
3) Trailrunning ist wie Laufen. Plus Abenteuer
Wenn man gerne läuft und gerne in den Bergen ist, dann ist Trailrunning einfach der beste Sport den es gibt. Es ist wie Wandern aber intensiver: In wenigen Stunden mehrere Gipfelerlebnisse, Vegetationszonen und Ausblicke. Aber auch wie Laufen, nur aufregender. Verschiedene Bodenarten, Wetterbedingungen, Temperaturen und viel mehr Planung. Wer glaubt, Laufen sei langweilig, muss Trailrunning probieren. Wer glaubt Laufen sei bereits aufregend, der muss Trailrunning erst recht probieren.
6:05: Meine Stirnlampe ist seit 5 Minuten aus – es ist
bereits hell. Langsam geht die Sonne auf und färbt den Talkessel in einem
unglaublichen Rotton. Der Mond harrt wacker aus und steht nach wie vor über der
Stadt. Grund Nummer 4
4) Die Natur
Schmale hochalpine Pfade, Bäche, Gipfel, Schneefelder,
Blumenwiesen. Nicht selten sieht man all das an einem einzigen Morgen innerhalb
weniger Stunden. Noch nie habe ich die Natur beim Sport so intensiv erlebt wie
beim Trailrunning. Wenn du siehst wie dein Puls nach oben geht – nicht wegen
der Anstrengung, sondern wegen der Aussicht – dann weißt du, du machst den
schönsten Sport der Welt. Wer das Glück hat, diesen Sport in der schönsten
Gegen der Welt ausüben zu dürfen, der hat den Jackpot gewonnen.
6:15: Die erste Seilbahnabfahrt ist um 7:00 – noch reichlich
Zeit um etwas weiter zu laufen. Im Laufen greife ich zu einer einer Banane
(massig Magnesium und Kohlenhydrate) und steure nach oben.
5) Man lernt sich selbst kennen
Ich hab mir nie groß den Kopf über Ernährung zerbrochen,
oder darüber wie mein Körper funktioniert. Wenn man aber mehrere Stunden läuft,
kommt man nicht drum herum seinen Körper ernst zu nehmen. Man muss verstehen
was er verlangt und es ihm geben – am besten noch bevor er danach fragt. Ohne
Essen wird wohl kaum jemand über 30km laufen, im Gebirge. Ohne Trinken wohl
nicht mal 20km. Was genau man essen oder trinken soll – das kann man eigentlich
nur selbst herausfinden – echte Selbstfindung eben. Ähnliches gilt für die
Psyche. Früher oder später setzen bei jedem Zweifel und negative Gedanken ein,
die gilt es, in Positive zu konvertieren. Es klingt vielleicht komisch, aber zum
ersten Mal überhaupt habe ich mich durch das Trailrunning intensiv mit mir
selbst auseinandergesetzt, meinem Körper und meiner Psyche.
6:45: Zurück im Weiler Kohlern und noch 15 Minuten bis zur Seilbahn – kaum jemand ist schon auf den Beinen. Die Fahrt werde ich mir wohl lediglich mit 3 jungen Damen teilen, die zur Arbeit fahren. Keine Wanderer, keine Biker. Grund Nummer 6:
6) Authentische Erfahrung
Berge verkommen leider ein ums and’re mal zu alpinen
Disneylands. Pfade können mit dem Rollator befahren werden, Souvenir-Shops
überall und natürlich ist der nächste Parkplatz mit 1000 Stellplätzen höchstens
fünf Minuten entfernt. Für Bergfreunde, die sich ihr Bergerlebnis anders
vorstellen, bietet Trailrunning eine echte Alternative. Bei meinem Trailrun auf
den Vesuv habe ich das oben beschriebene Disneyland kurz betreten – und wieder
verlassen. Denn, wenige hundert Meter entfernt vom exponiertesten Souvenirladen
ist man wieder ganz für sich. Mutterseelenallein konnte ich den Vulkan und sein
Umfeld genießen. Dasselbe gilt auch für die Alpen: auch an noch so
touristischen Hotspots kann man den Massen ausweichen, wenn man nur früher da
ist oder andere (längere) Pfade verwendet.
7:05: von der Talstation sind es noch knappe 3 km bis zu meiner Wohnung wo ich mich für die Arbeit fertigmache. Was für ein Gefühl! Hätte ich mich nicht aus dem Bett gequält würde ich jetzt erst aufstehen. Verschlafen, mürrisch und nach Kaffee lechzend. Wie viel besser fühlt sich das jetzt an!
Es sind die harten Entscheidungen die am Ende
Glücksgefühle auslösen – und es sind die steilen Pfade die am reichsten Belohnt
werden!
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