Markus und Fabian teilen sich eine Wohnung in Bozen. Und sie teilen die Leidenschaften, leidenschaftlich zu diskutieren und pointiert zu schreiben. In ihrer Küche wird über kompletten Nonsens genauso gerne diskutiert wie über die aktuelle Weltpolitik (nur gekocht wird dort nicht so oft). Ähnlich soll es in diesem Blog passieren.
Das Konzept: beide schreiben einmal pro Monat mit einer vorgegebenen Zeichenzahl ihre Meinung zu einem vorgegebenen Thema. Eine Woche nach Veröffentlichung wird abgerechnet: wer hat mit seinem Text mehr Views und Likes erreicht?
Der Verlierer muss den Müll runterbringen. Der Gewinner darf das Thema für den nächsten Monat bestimmen. Vorschläge dürfen natürlich auch von euch Lesern kommen.
Gute Unterhaltung beim „Battle of Blogs“!

Dienstag, 3. Oktober 2017

Warum sich Katalonien die Unabhängigkeit redlich verdient hat (Fabian)

Um zu erkennen, dass etwas Großes passiert in Europa, reicht es die Menschenmassen vor den Wahllokalen zu betrachten. Leute stehen Schlange und setzen sich Polizeigewalt aus – und das alles um wählen zu dürfen. In Zeiten von Politikverdrossenheit eigentlich undenkbar. Ein Recht wird umso kostbarer, wenn es nicht selbstverständlich ist. Dies gilt am 1. Oktober 2017 für das Wahlrecht in Katalonien – es gilt in Katalonien aber auch für das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung.



Langfristigen Frieden in Europa erreicht man am besten damit, dass man bestehende Grenzen nicht anrührt, keine alten Wunden aufreißt und wenn möglich alles so belässt wie es ist. Dies ist eine weit verbreitete Meinung unter Europas Eliten, die bei dieser Gelegenheit gerne darauf verweisen, dass ohnehin die EU mit ihrem starken und wachsenden Einfluss die Nationalstaaten überflügelt. Diese Optik wirft gleich mehrere Fragen auf: Wer entschiedet ab wann die Grenzen als „in Stein gemeißelt“ gelten und wer entschiedet welche es sein sollen. Warum darf der Kosovo unabhängig werden, warum darf die Slowakei ein Staat sein, warum wird dieses Recht auf Unabhängigkeit aber Katalonien verwehrt? Das Recht auf Unabhängigkeit darf kein Verfallsdatum haben und es darf nicht daran scheitern, dass ein paar Bürokraten in Brüssel vor der damit verbundenen Bürokratie zurückschrecken.

Warum überhaupt Katalonien, und warum jetzt?, das fragen sich gerade viele. „Warum nicht?“ frage ich zurück. Katalonien ist eine weltoffene Region, die nicht aus geschichtsrevanchistischen Gründen die Unabhängigkeit anstrebt sondern diese als ein ambitioniertes Zukunftsprojekt sieht. Alle ethnischen Gruppen und alle sozialen Schichten stehen in gleichem Maße hinter dem Projekt – es wird also niemand gegeneinander ausgespielt. Auch folgt die Unabhängigkeitsbewegung keiner Agenda einer rechten Partei  - die Eigenstaatlichkeit ist ein überparteiliches Projekt.

Abgesehen von geschichtlichen Ereignissen und der eigenen Sprache sind es auch aktuelle Entwicklungen, die die Region am Mittelmeer zur Unabhängigkeit bewegen. Katalonien nimmt schon heute seine Verantwortung in Europa und in der Welt wahr und agiert in Krisensituationen (Fluchtlingskrise, Terrorangriffe) souverän. Die Regionalregierung hat es in den letzten Jahren erfolgreich geschafft, eine katalonische Gemeinschaft aufzubauen. Wie keine andere Region in Spanien schaffte man es,  Zuwanderer zu integrieren und eine pluralistische und zugleich  katalanische Gesellschaft aufzubauen. Rund um Barcelona boomt der Tourismus, es gibt zahlreiche internationale Unternehmen, die Gegend ist bei Expats sehr beliebt. Barcelona, das steht für Moderne, für Fortschritt und Weltoffenheit. Mit dieser Entwicklung hat sich der Spalt zum spanischen Staat weiter geöffnet. Das neue Autonomiestatut, das das Verfassungsgericht zurückgewiesen hat, tat das übrige dazu – die Unabhängigkeitsbewegung wurde gestärkt.

Aber...aber die Verfassung verbietet die Unabhängigkeit – werden jetzt viele schreien. Ja, stimmt - die Aufgabe der Verfassung ist es aber auch den Staat zu definieren. Dass diese keine Sezession vorsieht ist daher nicht überraschend. Ein Unabhängigkeitsreferendum anhand der Verfassung zu delegitimieren ist mehr als hanebüchen. Die Legitimation des Brexit stellt (im Gegensatz zur Sinnhaftigkeit) keiner Infrage– die Bevölkerung hat ihren Willen demokratisch bekundet und wo ein Wille da ein Weg. Wenn es keinen gibt muss er geschaffen und ausgehandelt werden, wenn es auch noch so mühsam ist – so funktioniert Demokratie. Wenn ein Gebiet friedlich und demokratisch den Weg zur Unabhängigkeit gehen will, was soll daran illegal sein?

Zum Schluss noch Europa. Ist es das Ende der EU, wenn sich Regionen von Staaten abspalten? Nein, im Gegenteil. Es ist der Anfang eines postnationalistischen Europas. Eines Europas in dem die Nationalstaaten (die ohnehin keine Nationalstaaten im eigentlichen Sinne sind und es nie waren) ihren Einfluss verlieren und Regionen gestärkt werden. Regionen können auf lokale Eigenheiten, auf kulturelle Minderheiten, auf ethnische Besonderheiten Rücksicht nehmen, während die EU das große Ganze steuert. Staaten brauchen wir da höchstens noch als Verwaltungsbezirke – und wen schert’s, wenn sich da Grenzen verschieben. Das Referendum in Schottland, jenes in Katalonien, das angestrebte im Veneto und viele weitere Bewegungen in Europa haben gezeigt: Nationalstaaten werden dem 21. Jahrhundert nicht gerecht: zu klein für die globalisierte Welt, zu groß um lokalen Eigenheiten Rechnung zu tragen.

Dass es zu einem unabhängigen Catalunya kommt, davon bin ich mittlerweile überzeugt. Spanien hat mit seinen faschistoiden Reaktionen jede Glaubwürdigkeit und jede Sympathie verspielt – in Katalonien, in Europa und in der Welt. Zuviel Porzellan ist zerbrochen, als dass man die Katalanen nochmals mit einer Autonomie besänftigen könnte. Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist friedlich, demokratisch, vorwärtsgewandt und weltoffen – ich sehe keinen Grund, ihr nicht alles Beste und allen Erfolg zu wünschen.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen