Der Erfolg des Tatort ist ein nahezu unbeschreibliches Phänomen. Nahezu! Dabei gibt es unzählige Erklärungsversuche. Wärend die einen behaupten der Erfolg beruhe auf einer ziemlich genauen Abbildung der deutschen Gesellschaft deckt dieser Blogartikel die simplen Motive auf die den Erfolg der Krimireihe ausmachen.
Erfolg durch
Gesellschaftskritik? Wohl eher nicht.
Wohl um den
nahezu unheimlichen Erfolg zu erklären hält sich hartnäckig die These, der
Tatort sei deshalb so beliebt, weil er die Komplexität der Gesellschaft
abbildet, weil er sozusagen deren Spiegel ist. Was für eine elitäre Theorie.
Zunächst gibt es ja nicht „den Tatort“; jeder Rundfunk hat andere
Drehbuchschreiber, Drehorte und Schauspieler.
Zudem ist ein
Krimi per se nie ein Abbild der Gesellschaft. Knapp 300 Morde gibt es jährlich
in Deutschland. Die Tatort-Reihe kommt im Jahr 2016 auf 162 Morde. Deutschland,
Land der Mörder und Zuhälter, möchte man meinen, wenn man die Gesellschaft
anhand des Tatorts rekonstruieren möchte. Dazu kommt: währen die Anzahl der
Morde in der „echten“ Gesellschaft stetig abnimmt (-40% in den letzten 15
Jahren) nimmt sie im Tatort immer weiter zu (2016 war das „blutigste“ Jahr
überhaupt).
Regisseure,
Drehbuchschreiben und Rundfunkanstalten müssen Erfolge produzieren. Für
Millionen von Zusehern. Und Millionen bekommt man nicht durch para-akademische
Milieukritik vor den Bildschirm.
6 profane Gründen die uns an den
Bildschirm fesseln
Der Erfolg des
Tatorts lässt sich mit 6 eher simplen Gründen erklären. Tatort, das ist eine
Krimireihe der Gegensätze. Sie ist sowohl abwechslungsreich als auch
kontinuierlich, gleichermaßen vorhersehbar wie überraschend und ebenso
altbacken wie modern.
1.
Abwechslungsreich:
„Den Tatort“ gibt es nicht. Jeder Drehort hat seine abgegrenzte, in sich
abgeschlossene Handlung. Und jede ist unterschiedlich. Altbacken-traditionell
in Köln oder München, skurril in Münster, unterhaltsam in Dortmund,
sozialkritisch in Berlin und so weiter. Es ist Teil der Faszination, dass es
jede Woche um einen anderen Aspekt geht. 20 Shades of Krimi könnte man sagen –
nicht nur dass jeder Geschmack dadurch abgedeckt wird: jeder hat seinen
Favoriten. Das sorgt für Gesprächsstoff am Montag im Büro.
2.
Kontinuativ:
Nein, das ist kein Gegensatz zu Punkt 1. Die Krimireihe schafft es vielmehr den
Bogen zwischen den 2 Punkten zu schlagen. Mal ehrlich: wie viele Fernsehfilme
mit fortlaufenden Handlungen gibt es im deutschen Fernsehen? Ok, auch der
Tatort hat keine Cliffhanger a là Breaking Bad, aber meist einen
Handlungsstrang der über 90 Minuten hinausgeht. Im Unterschied zu so gut wie
allen anderen Krimis im TV. Dies sorgt für Spannung, dafür dass sich Insider
noch tiefer drin fühlen und dafür dass sich echte Charaktere entwickeln können.
3.
Vorhersehbar:
Am Anfang wird gestorben, mittendrin wird aufgedeckt, am Ende ist alles gut.
Wenn es eine Beschreibung für „den Tatort“ gibt, dann diese. Was trifft die
deutsche Seele besser als diese Abfolge. Man geht den Dingen auf den Grund,
findet raus dass etwas ziemlich falsch läuft und bringt es in Ordnung. Wenn es
sehr kompliziert ist, spricht Anne Will in gediegener Runde noch eine Stunde
darüber. Wenn dann wirklich alles geklärt ist geht’s zum Zähneputzen und dann ab ins Bett. Der Mensch ist eben doch ein Stück weit ein Gewohnheitstier.
4.
Überraschend:
Ein Krimi hat viele Facetten, einige von ihnen kennen wir zur Genüge, andere
hauen uns geradezu aus den Socken. Gerade wenn es keine klassische Gangsterjagd
oder keinen „Aufklärungskrimi“ gibt, ist der Überraschungseffekt groß. Elemente
wie einen Erzähler der durch die Handlung führt, ein Stück-im-Stück oder ähnliches
sorgen für die ganz besondere Würze.
5.
Alt:
Keine 10 Seiten ist die Bibel alt, bis der erste Mord passiert. Seit Kain und
Abels „Tatort“ hat sich nicht viel verändert. Niedrige Motive erklären, in
ihrer Einfachheit, einen großen Teil des menschlichen Handelns. Und sie sind so
schön Zeitlos und für jeden Verständlich. Meine Oma kann sich genauso gut eine
eifersüchtige Ehefrau vorstellen wie es ein Handwerker im Mittelalter konnte oder
ein IT Ingenieur der Zukunft können wird. Darauf baut der Sonntagskrimi,
unverändert seit mehreren Jahrzehnten.
6.
Neu: Es gibt wenige Fernsehereignisse, die es
in den Twittertrends ganz nach oben schaffen. Neben Sportübertragungen und dem
Dschungelcamp wohl nur Tatort. Da werden laufend Handlungen kommentiert,
schlechte Ausgaben verrissen und es wird laufend kommentiert. Man hat den
Eindruck, Tatort wird in Zeiten von Onlinemediatheken nur deshalb pünktlich um
20.15 angesehen, damit man ihn auf dem Second Screen auf Twitter verfolgen
kann.
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